Ritt von Allershausen an den Chiemsee 1999
Unter den schönen Ritten, die uns im Jahr 1999 vergönnt waren, bleibt vor allem der Ritt von Allershausen an den Chiemsee und weiter nach Schleching in der Erinnerung.
Wir hatten Ende 1998 Albert Knauss, der selbsternannten und erwiesenen Europawanderreiter kennengelernt, dessen Tour von München nach Venedig wir unterstützen wollten, wenn wir schon nicht selbst teilnehmen konnten. Wir sagten ihm zu, die Route von München - Marienplatz bis nach Österreich (Richtung Großglockner) auszuarbeiten. Albert ist ein Reiter und Wanderreitführer, der sich nicht gerne auf Ungewisses einläßt und der lieber auf die Minute genau plant, als hinterher um 10 Min. zu spät zu sein. Zudem hatte er seinen 6-Wochenritt öffentlich ausgeschrieben und stand somit natürlich ein wenig unter Druck.
Die Planung
Ich hatte im März die Route durchgeplant, Quartiere im 25 km-Raster bestellt und ihm alle Karten gedruckt, Wege eingezeichnet, Telefonnummern von Quartieren, Tierärzten, Schmieden, Wirtschaften etc. besorgt und nach Iphofen geschickt. Dann stellte sich heraus, daß dieses Jahr das Sternrreitertreffen bei den Franken erst im August stattfinden würde, unmittelbar vor Waldmünchen (also zu einem Termin, der bedeutet hätte, daß bei einem Ausfall eines der Pferde oder Reiter beide großen Sternritte für uns verdorben wären). Folglich planten wir für Franken nur 3 Tage Anritt ein und hatten für unseren Hochzeitsritt, der wie jedes Jahr um unseren Hochzeitstag herum stattfinden sollte, kein Ziel vor Augen. Aber wir hatten doch die für Albert perfekt durchgeplante Route in der Schublade!
Albert wollte vom Münchner Marienplatz Richtung losreiten, was sich für uns nicht direkt anbot (es ist ja widersinnig, wenn man mit dem Pferd von Freising aus mit der S-Bahn zum Marienplatz fahren will, nur um dann wieder nördlich aus München rauszureiten…). Statt dessen wollten wir wie immer von unserem Stall aus losreiten, an einem (langen) Tag südöstlich durchs Erdinger Moos bis nach Finsing reiten, wo wir bei lieben Freunden unterkommen konnten.
Erster Tag: Allershausen - Finsing
Zwei vertraute Wanderreit-Kameradinnen, Heldinnen diverser Anekdoten am Lagerfeuer, wollten uns am ersten Tag begleiten und sich dann mit dem Hänger in Finsing abholen lassen. Das fanden wir sofort ideal, weil sie ganz liebe Begleiterinnen sind und der Hänger unser Gepäck mitnehmen konnte. So zogen wir morgens um 8:00 ohne Gepäck los und konnten uns ein flottes Tempo für die kommenden 45 km vornehmen.
Die ersten Kilometer legten wir im vertrauten Wald hin, wo die Pferde vertrauensvoll dahinsausten, denn sie waren ja nicht durch Packtaschen oder ähnliches vorgewarnt, daß sie so bald nicht mehr in den Stall zurückkehren würden. Schon nach zwei Stunden erreichen wir bei Pulling das Isarmoos, durch das wir ins Erdinger und dann ins Notzinger Moos kommen werden, also den ganzen Tag ohne Schatten und bei großer Hitze (es war kurz vor Sonnwend) zu reiten haben.
Die Wege hier sind zwar etwas gesucht, weil bei der Flurbereinigung überwiegend stark befestigte Wege angelegt, die anderen aber aufgelassen worden sind. Trotzdem kommen wir gut voran und erreichen zur Mittagsstunde die Isar bei Grüneck. Beim dortigen Gasthof springt ein Pony im Garten herum, als es unsere Pferde sieht, ein schattiges Plätzchen zum Anbinden findet sich auch und wir wollen einkehren. Die herbe Enttäuschung ist jedoch die Wirtin: “Naaa, des is´ jetzt net so guad, mit de´ Ross…”. Wir beschließen spontan, daß uns eine solche Wirtschaft keinen Roßbollen wert ist und wollen wieder losmarschieren. Unsere Pferde scheinen unseren Unmut zu spüren und zeigen, daß ihnen die Wirtschaft doch einiges wert ist. Lachend ziehen wir in Richtung Isarbrücke und erreichen gleich nach der Flußüberquerung einen netten Stall, wo man uns gerne aufnimmt, die Pferde tränkt und mit Heu versorgt und uns gerne beköstigt. So hatte der Rauswurf bei der Wirtin für alle sein Gutes - sie hat was zum Rosendüngen und wir waren bei netten Rosserern zu Gast.
Jetzt kommen die schnellen Strecken, hatte ich in der Erinnerung, es geht am Flughafen vorbei und, zunächst entlang des Bahngleises, dann aber längs und quer durchs Moos im Trab dahin. Langsam scheint den Pferden zu schwanen, daß wir heute nicht mehr heimkommen werden, aber die nette Gesellschaft unserer Tagesbegleiter motiviert sie und ist uns willkommene Abwechslung. In sehr hohem Tempo geht es Richtung Speichersee, bis wir im Goldachhof Pause machen. Dort treffen wir auch auf Doris und Tom, die uns zu Pferde und in der Kutsche entgegengekommen waren.
Am Goldachhof herrscht dicke Luft - wenige Wochen vorher war eines der Stallgebäude abgebrannt, schwelende Ruinen stehen da, wo bis vor kurzem ein schöner Stall stand. Dennoch bewirten uns und die Pferde die Pferdefreunde Ismaning in gewohnter und geschätzter Gastfreundschaft, wir waren ja jahrelang Nachbarn und treffen sie jedes Jahr bei einem oder mehreren Wanderritten. Wie immer muß ich die Geschichte erzählen, als ich das erste Mal dort um Wasser für mein Pferd gefragt hatte und ich gefragt wurde: “Für die Stunde zu Deinem Stall braucht Dein Pferd schon Wassser? Das kann ja nicht wahr sein.” Dabei war ich auf dem Weg nach Waldmünchen und wollte meine Kleine vor der langen, heißen und einsamen Strecke durchs Moos noch einmal tränken…
Trotz der Brandruine haben wir unseren Spaß bei den Freunden, bis wir aufbrechen und mit ausgeruhten Pferden auf die letzte Teilstrecke am Speichersee entlang nach Finsing ziehen. Auf dem schönen Wiesenweg, der einige Kilometer am Damm entlanggeht, galoppieren wir minutenlang dahin, bis ganz kurz vor dem durch eine Kurve unsichtbaren Ende Birgitt fragt, ob es noch sehr lange so dahinginge, sie hat schon einen hochroten Kopf und schnauft ganz so, als wäre sie selbst gelaufen. Ich sage natürlich, es sei nochmal genausoweit und daß wir das wir schon am Stück durchgaloppieren sollten… In ihren entrüsteten Aufschrei kommen schon die Häuser von Finsing in Sicht, die Lacher gelten ihr.
Bei Doris und Tom werden die Pferde abgewaschen, in einen schönen Paddock gestellt, mit Heu und Wasser versorgt und bis zur Kraftfuttergabe in Ruhe gelassen. Wir halten es immer so, daß die Pferde erst Stunden nach der Ankunft Kraftfutter bekommen, bis dahin sollen sie saufen und sich mit Gras oder Heu beschäftigen, bis der Kreislauf wieder völlig auf “Normal” steht. Als wir mit den Futtereimern kommen, scheint der Puls aber wieder nach oben zu schnellen, so wiehern sie uns entgegen. Meine kleine Araberin bekommt auf mehrtägigen Wanderritten bis zu 15 Liter Hafer am Tag, was sie auch spielend verdrückt. Auch Susannes VA-Stute verdrückt ohne jegliches Problem deutlich über 10 Liter am Tag. Wir haben zum Glück keine Pferde, die auf Kraftfutter “spinnert” oder gar krank werden, und wir wollen, daß sie genauso rund und g´sund wieder heimkommen, wie sie losgegangen sind.
Für uns wird gegrillt, der ganze Stall ist da und es wird ein schönes Abend. Weil der Wetterbericht nicht das beste Wetter für die Nacht und den kommenden Tag verspricht, quartiert uns der Bauer in seinem Gästestüberl ein, die Pferde bekommen Regendecken geliehen und die Nacht kommt spät, aber kurz, dafür für Regen und Temperatursturz.
Zweiter Tag: Finsing - Grafing/Katzenreuth
Am Morgen sind wir allein im Stall, versorgen die leicht nassen Pferde, frühstücken und packen unsere Sachen. Als wir uns um 8:00 auf den Weg machen, ist das Wetter ungemütlich. Der kalte Wind treibt uns den Regen ins Gesicht, die Pferde scheinen anhand der Packtaschen erkannt zu haben, daß es was Längeres begonnen hat und schlappen etwas lustlos dahin. Erst nach einer Stunde geht mal ein kleiner Trab her, bei dem Roß und Reiter etwas aufwärmen. Wir kommen durch Markt Schwaben, müssen auf der Hauptstraße durch eine enge Unterführung. Natürlich donnert in dem Moment, in dem wir unter der Bahnunterführung sind, oben ein Zug drüber und gleichzeitig ein LKW neben uns durch den kleinen Tunnel. Den Pferden ist es gottlob egal, sie haben schon schlimmeres gesehen und haben in solchen Situationen eiserne Nerven. Nur wenn zuhause auf der Standard-Feierabend-Runde ein Papierschnipsel im Weg liegt, üben sie gelegentlich den panischen Araber…
Über ruhige, aber leider asphaltierte Nebenstrecken kommen wir zur Autobahnbrücke, die uns direkt nach Anzing am Ebersberger Forst führt. Wir finden einen von der Fahrbahn abgetrennten Fußgängersteig direkt am Geländer zur Autobahn vor, den wir mit ungutem Gefühl benutzen. Gerade als unsere “Kleine” über der rechten Spur der Autobahn ist, rast unter ihr ein großer LKW durch. Sie keilt gewaltig in seine Richtung aus und registriert stolz, daß sie ihn erfolgreich vertrieben hat. Wir lachen noch, als wir in Anzing bei einem Metzger ein paar warme Semmeln kaufen und uns im Stadtpark ein wenig ausruhen.
Vorbei an der Tennisanlage vom Maier Sepp reiten wir in den umzäunten Eberberger Forst hinein. Schon nach wenigen hundert Metern geraten unsere Pferde in eine solche Panik, wie wir noch nie erlebt haben. Sie bellen fast beim Schnauben und wollen par tout nicht weitergehen, wir können nicht erkennen, wovor sie solche Angst haben. Nachdem wir sie überredet haben, dauert es noch eine halbe Stunde, bis sie sich halbwegs beruhigt haben - sie schauen aber ständig in den an die Straße angrenzenden Wald und sind offenbar immer etwas aufgeregt. Nach zwei Stunden voller Anspannung auf einer elend hart geschotterten Forststraße erreichen wir die Hubertusklause, wo wir telefonisch nachgefragt hatten, ob wir zu Pferde kommen dürften. Die alten und sichtbar schon lange installierten Ständer zeigen, daß Reiter hier zu Pferd willkommen sind. Weil aber kein Mensch im Biergarten ist, dürfen wir die Pferde direkt vor dem Haus auf die Wiese stellen, wo sie in unserem Blickfeld grasen können. Bei gutem Essen wärmen wir uns wieder auf, die Sonne kommt heraus und trocknet auch die Pferde, die heute morgen viel Regen abbekommen haben.
Als wir uns wieder auf den Weg machen, setzt ein Regenguß ein, der alles in Minuten durchnäßt, was in der letzten Stunde wieder getrocknet ist. Wir nähern uns dem Ausgang des Wildparks - und die Pferde bekommen nochmal einen solchen Panikschub. Diesmal bleibe ich im Sattel und dirigiere meine Stute durch das schmale Tor hinaus aus dem Park. Beide Pferde beruhigen sich komischerweise sofort wieder, wir sehen immer noch keinen Anlaß für die Aufregung.
Über die Randgebiete Ebersbergs halten wir auf Katzenreuth zu, wo wir telefonisch ein Quartier zugesagt bekommen hatten. Die Strecke läßt kein schnelles Fortkommen mehr zu, traben wir einmal an, so kommt binnen weniger Meter eine starke Steigung oder der Weg ist plötzlich asphaltiert. Trotzdem kommen wir dem Ziel langsam näher, irgendwann gehen wir die letzte Steigung an der Teerstraße entlang und erreichen einen großen Turnierstall.
Wir hatten diesen Ritt für Albert auf der Generalkarte 1:200.000 geplant, um die grobe Orientierung zu finden, zwingende Übergänge über Flüsse, Autobahnen etc. und Umwege um große Ortschaften zu planen. Dann hatten wir auf den Topografischen Karten, die wir auf CD haben, im Computer die Detailplanung gemacht und dabei mit einer Telefonbuch-CD über die Branchensuche nach Reitställen oder Landwirten gesucht. Spätestens nach einigen Telefonaten bekamen einen Tip, wo wir übernachten können würden. Über die Quartiere, die in unseren Weg passen, wurde dann die endgültige Wegeplanung auf den Ausdrucken der topografischen Karten 1:50.000 eingezeichnet.
Bei dieser Planungsweise kann man natürlich nicht sagen, was für ein Quartier einen erwarten wird, aber das ist unser “Abenteuer”. Von ganz Wilden mit Tipi auf der Weide bis zum Luxusstall mit mehreren Reithallen und einem Richterturm zum Schlafen haben wir schon allerhand kennengelernt, also marschieren wir munter in die Anlage. Den ersten Menschen, der uns über den Weg läuft, fragen wir, wo die Chefin ist, mit der wir telefoniert hatten. Die Gute hatte uns völlig vergessen, räumt aber dann bereitwillig eine Box, in die unsere Reithamster bequem zusammen hineinpassen und zeigt uns das Futter,das Reiterstüberl und den Rest der ganzen Anlage. Sie kann sich nicht vorstellen, daß man mit Pferde tagelang “irgendwo hinreiten” kann, tut aber alles, um es uns schön zu machen. Dazu gehört zunächst mal ein Teller heiße Suppe, der unsere Lebensgeister wieder in Stimmung bringt.
Anfangs spüren wir zwar eine gewisse Reserviertheit, aber der Zufall kommt uns zur Hilfe in Gestalt einer langjährigen Freundin und Berufskollegin, die früher ihr Pferd hier eingestellt hatte und bloß mal zu Besuch kommen wollte. Der Abend vergeht in einer sehr netten Runde, in der komischerweise die meisten ein Rechtfertigungsbedürfnis entwickeln, warum gerade sie nicht wanderreiten. Wir bleiben allein im Stüberl zurück, bekommen sogar Matrazen und schlafen wunderbar. Am Morgen bekommen wir ein gutes Frühstück, nachdem wir alles pikobello aufgeräumt hatten, sowie die Pferde versorgt und gefüttert waren. Unser Angebot, für unseren Aufenthalt zu bezahlen, wird energisch zurückgewiesen, bis wir uns auf eine angemessene “Spende” für die Reiterkasse einigen. Als wir nach herzlichem Abschied weiterziehen, winken uns die Stallbesitzer noch lange nach.
Dritter Tag: Grafing - Bad Enndorf:
Auf der Karte sah alles sehr schwierig aus: Kurze, umständliche Nebenwege, längere Passagen an Straßen, die vermutlich stärker befahren sind - keine optimalen Voraussetzungen. Erstaunlicherweise fand sich immer ein schöner Weg, oder neben der Straße war ein Streifen Wiese gemäht, so daß wir neben der Straße traben konnten. Einmal mußten wir bei einer alten Mühle eine sehr zweifelhafte Brücke hoch über dem Wasser überqueren, was aber problemlos ging, obwohl die Packtaschen beidseitig am Geländer kratzten.
Vor der Mittagspause erwarteten wir anhand der Karten eine Strecke, die fernab der Verkehrswege wunderbar über Waldwege durch Rodungsinseln zu einer Brücke über einen kleinen Bach führen und dann von Nordwest zur Innbrücke bei Grießstätt führen sollte. Die Pferde sind munter, das Wetter angenehm frisch nach dem Regen gestern, bloß die Brücke gibt es nicht mehr und der Wald ist auch für Fußgänger nicht gangbar. Wir müssen zurück und haben fast 2 Stundden verloren.
Auf der Teerstraße latschen wir auf die Innbrücke zu, auf der wir den Fluß überquren und gleich Richtung Grießstätt abbiegen. Dort setzen wir unsere Hoffnungen auf den Gasthof - aber es kann immer noch schlimmer werden: Ruhetag. Wir sind nicht gerade begeistert, wegen des morgendlichen Umwegs ist jetzt auch in den Geschäften Mittagspause - hungrig und einsam stehen wir in Griesstätt, das ja der einzig nennenswerte Orte in weiter Umgebung ist. Susanne hat zum Überfluß noch ihre Lieblingsreithose beim Absteigen am Dorn der Satteltasche am Knie zerriessen und trauert um das gute Stück. Sie wird es nähen müssen, Nadel und faden sind “an Board”. Es fängt auch noch leicht zu regnen an, tiefer kann die Laune bei einem Wanderritt kaum sinken.
Der Schutzengel der Wanderreiter hatte uns bloß nicht gleich gefunden, weil er unseren Umweg nicht mitgeflogen war. Als wir die Straße entlanggehen, den Blick frustriert auf den Boden gerichtet, finde ich einen Filofax, mit Bargeld, Kreditkarten, tausend wichtigen Telefonnummern, Terminen etc, auf der Straße liegen. Der Wind hatte schon einige Blätter ein Stück mitgenommen, ich sammele sie auf und wir stellen uns bei einem Neubau unter dem Balkon zunächst ins Trockene. Die Pferde sind froh und dösen vor sich hin, während wir versuchen, einen Hinweis auf den Besitzer aus dem Kalender herauszulesen. Endlich entdecken wir das Blatt mit dem Namen und einer Handy-Nummer, die wir sofort anrufen.
Zunächst ist der gute Mann sicher, einem Scherzbold auf dem Leim zu gehen, er war eine Stunde vorher hier beim Tanken gewesen und glaubte seine Siebensachen sicher verstaut. Ich lese ihm einfach seine Termine von heute vor und frage ihn, ob er meint, daß ich Zeit und Lust für einen dummen Scherz habe. Inzwischen hat er das Fehlen seines “Gehirns” gemerkt. Wir vereinbaren einen hohen Preis für die “Fundsache”: Er soll uns ein paar Nußschnecken und etwas zu trinken mitbringen, was er sofort verspricht. Kaum 20 Minuten später, Susanne näht inzwischen ihre aufgerissene Hose, kommt er mit einem riesigen Picknickkorb an, bedankt sich für die prompte Information und verköstigt uns wunderbar. Nach einer Stunde, es hat auch zu Nieseln aufgehört, machen wir uns wieder gestärkt und zufrieden auf den Weg. Unser Schutzengel flattert fröhlich neben uns her, die Wege gehen plötzlich wunderbar auf und wir bummeln den Bergen entgegen, voller guter Laune.
Unsere heutige Station ist in Immling oben auf dem Berg in einem Aussiedlerhof bei Bad Enndorf. Als wir den steilen Berg hochgekeucht sind, erschrecken wir fast über die riesige Anlage. Geschäftiges Treiben, wir stehen mit den Pferden sehr verloren herum, bis sich ein stattlicher Mann (der Opersänger Baumann, dem die Anlage gehört) um uns kümmert und zuerst sagt, es könne gar nicht sein, daß wir hier übernachten dürften. Er läßt sich dann aber überzeugen, daß es uns zugesagt worden war und übergibt uns seiner Pferdewirtin, die den Stall mit fast 50 Pferden im Griff hat. Schnell werden einige Pferde umquartiert, die Boxen nochmal gemistet und schon haben unsere Hasen ein schönes Quartier, während wir in ein Zimmer mit Stockbetten einziehen dürfen.
Eine liebe Cousine wohnt im Nachbardorf, wir rufen sie an und sie besucht uns, bringt trockenes Brot für unsere Pferde und nimmt uns mit zum Abendessen, es wird ein langer Abend. Als sie uns wieder in den Stall bringt, legen wir unseren Pferden nochmal Heu vor und fallen dann in die Betten.
Vierter Tag: Bad Enndorf - Grassau
Antwort - Ratzingerhöhe (Kampenwandblick) - Urspring - Bahndamm - Bahnunterführung - Torflandschaft - Araberhof
Zum Glück hatte uns die liebe Verwandtschaft ein feines Frühstück mitgegeben, so daß wir nicht hungrig aufbrechen mußten - wegen der Vorbereitungen für ein großes Konzert auf dem Hof unserer Gastgeber kümmerte sich keiner mehr um uns, sogar unser Scherflein für die Übernachtung mußten wir lange rumtragen, bis wir endlich die Stallchefin erwischten und ihr unseren Obulus buchstäblich aufzwangen. Gegen 8:00 zogen wir dann in der morgendlichen Frische los, kletterten den Hügel hinunter und zogen über Antwort, einen Vorort von Bad Enndorf, Richtung Ratzinger Höhe. Diese Aussichtskanzel über den Chiemsee wollten wir unbedingt überschreiten, allerdings hatte ich mit der Steigung unseres Weges auf der bewaldeten Nordseite nicht so ganz gerechnet - zwar war da ein Weg, aber er war so brutal steil, daß wir die Pferde führen mußten, um nicht samt Sattel hinter dem Pferd zu landen. Nach schweißtreibenden 150 - 200 Höhenmetern brechen wir durch den Waldrand und stehen ehrfürchtig vor einem der schönsten Ausblicke der bayrischen Alpen. Wendelstein und Kampenwand stehen uns gegenüber, dahinter ahnt man die ganzen nördlichen Kalkalpen, links liegt der Chiemsee und weit hinten sieht man bis in die Tauern mit dem ewigen Eis.
Lange können wir uns nicht losreißen von dem Ausblick. Dann aber lockt uns die Wirtschaft zu unseren Füßen, bei der wir die Pferde am Lasso in den Schatten stellen und mit Wassser versorgen können, wir lassen uns auf der Aussichtsterrasse ein Mittagessen schmecken und vergleichen Natur und Karte (erstaunlicherweise ist die Natur genau so, wie die Kartenmacher es wollten - oder war es umgekehrt…).
Bergab führen wir unsere Pferde auf Teerstraßen, bis wir in den Wiesen zwischen Chiem- und Simssee Richtung Prien wieder auf verkehrsarme Feldwege stoßen. Die wenigen Bauern, denen wir begegnen, grüßen uns freundlich und fahren mit den schweren Geräten so auf die Seite, daß wir ohne Not passieren können, sie sind beinahe eine Fortsetzung der freundlichen, sonnigen Landschaft.
In Urspring, kurz vor Prien am Chiemsee, besuchen wir eine nette Wirtschaft bei der uralten Kapelle. Dieser Kirchlein ist bald 1000 Jahre alt und heute zufällig offen, da der Kuster Besucher aus kirchlichen Kreisen hat und für sie (und auch für uns) eine Führung macht. Danach gibt es leckeres Speckbrot und bald marschieren wir mit den Pferden nach Prien und dann weiter über das Moos, parallel zur Eisenbahnlinie, nach Bernau und durch das Achen-Moos weiter nach Grassau, wo wir bei einem Araberhof freundlich empfangen und untergebracht werden. Beim abendlichen Fischessen lassen wir uns zwei riesigen Forellen schmecken und schlafen bald in einer schönen Hütte, während unsere Pferde in schönen Außenboxen Berge von Heu verdrücken.
Fünfter Tag: Grassau - Schleching
Marquartstein - Naturschutzgebiet - Tiroler Ache - Flußbegleitweg - Kapelle (Kampenwand von hinten) - Haflingerquartier - Abholung
Schon am Morgen ist es heiss, wir holen uns erst mal beim Bäcker ein Frühstück und ziehen dann Richtung Marquartstein ins Tal der Tiroler Ache. Wir umgehen die Ortschaft westlich und finden dann einen schönen Weg durch ein Naturschutzgebiet, der zwar durch ein Reitverbotsschild verziert, aber breit und asphaltiert ist - wenn ein solcher Weg “verboten” ist, dann sollte man als ansässiger Reiter den Rechtsweg beschreiten, um diesen Weg wieder reiten zu dürfen. Mag sein, daß dieser Weg in der Hauptsaison von hunderten Touristen täglich begangen wird, aber uns begegnet nur ein Mopedfahrer, dem es sichtlich unangenehm ist, weil er strenggenommen ebensowenig hier sein darf wie wir. In Raiten beim Wirt binden wir die Pferde hinterm Haus an, die Wirtin versorgt sie mit Waser und etwas Heu und wir bekommen nochmal feinen Fisch aus der Ache, die auf der anderen Straßenseite dahinzieht. Nach dem Essen marschiere ich hin und will ein Fußbad nehmen - das Wasser ist so kalt, daß ich die Füße keine Minute ins Wasser halten kann.
Auf schönen Forststraßen geht es von Raiten weiter nach Süden, bei den ersten Häusern von Schleching biegen wir auf den Achendammbegleitweg ab und ziehen auf einem gut befestigten Weg Richtung österreichischer Grenze. Das Tal ist wunderbar, die Luft ist von einem angenehmen Wind aus den Bergen besonders klar und würzig und unsere Pferde marschieren zufrieden dahin. Weil wir sehr gut in der Zeit liegen, spannen wir nochmal das Lasso zwischen zwei Bäumen und lassen die Hasen das feine Gras fressen, das neben dem Weg im Überfluß wächst. Wir liegen im Gras, schauen uns die Kampenwandd von hinten an und sind schon wieder traurig, daß unser Ritt zu Ende geht.
Bei unseren Quartiergebern ist telefonisch niemand erreichbar. Wir erkunden also die Grenze, bis wir von einem eher unfreundlichen alten Herrn angemeckert werden. Als er aber erkennt, daß wir nicht gerade die üblichen Störer sind, entwickelt sich ein nettes Gespräch. Der Herr kommt aus dem Ort, in dem unsere Pferde im Stall zu Hause sind, er kennt sogar “unsern” Hof, er hat vor 30 Jahren das alte Zollhäusel gekauft und verbringt hier heroben seinen Lebensabend.
Weil wir immer noch niemanden erreichen, marschieren wir mit den Pferden hinauf zur Streichenkapelle, die hoch über dem Talgrund ins Achental hinaunterschaut und von der man einen Blick bis zurück zu Chiemsee hat. In der Wirtschaft sind wir mit den bepackten Pferden zwar nicht vertraute Gäste, aber wir bekommen gutes Essen, während die Pferde am Lasso weiden können. Der Wirt nennt uns für den Fall, daß unsere “gebuchten” Quartiere nichts werden, die Adressen und Telefonnummern mehrerer Pferdebesitzer in Schleching - jetzt kann nichts mehr schiefgehen.
Dann erreichen wir doch noch diejenigen, mit denen wir von München aus vereinbart hatten, uns aufzunehmen. Sie hatten es glatt vergessen, es war ja schon zwei Wochen her… Dennoch werden wir sehr herzlich aufgenommen, die beiden Haflingerstuten stehen in einem sehr schön ausgebauten Stadel mit schönem Sandplatz und einigen Weiden darum. Unsere Pferde werden auf dem Sandplatz mit viel Heu versorgt, sie werden die Nacht gut aushalten.
Wir werden mit nach Hause genommen in ein wunderschönes altes Haus, das aus dem Jahr 1780 stammt und liebevollst renoviert ist - obwohl unser Hausherr ein waschechter Preiss´ ist, hat er eine Schlechingerin geheiratet und ein sehr schönes Anwesen erwerben können. Die biden hausen gut zusammen, haben ein liebe Tochter und bereiten uns noch einen wunderschönen Abend.
Am nächsten Morgen rufen wir zu Hause an, unsere Eltern packen das fertige Gespann und kommen nach Schleching, um uns zu holen. Diese Zeit sitzen wir auf den Wiesen in der Sonne und lassen die schöne Woche noch einmal an uns vorüberziehen. Auch heutzutage kann man mit dem Pferd noch durch Bayern ziehen, man wird freundlich aufgnommen, erlebt Dinge, die dem “Automobilen” immer verborgen bleiben und will hinterher gar nicht mehr nach Hause. Unsere Pferde aber begrüßen das Gespann freudig, sie wissen, daß sie in wenigen Stunden wieder über “ihre” Weide sausen werden und mit ihren Kumpels spielen können.
So kommt es dann auch. Nach einer ereignislosen Fahrt kommen wir wieder bei Allershausen an, die Pferde gesund und munter, keine Verluste an Eisen oder anderem Material zu beklagen, wir sind braungebrannt und begeistert. Ein würdiger “Hochzeitstagritt”.
Text: Stefan Knoll
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